„Was stimmt denn hier gerade nicht?“

Es war einmal ein Fragezeichen, das fröhlich pfeifend seinen Weg durch eine von der Sonne durchfluteten Allee in Richtung Stadtzentrum nahm.

„Ist das nicht ein herrlicher Tag?“, fragte sich das vor Freude grinsende Fragezeichen.

Während es voranschritt, traf es auf einen alten Freund namens Hogi, einst beschäftigt im mittelständischen Handwerk. Hogi hatte ein eher grimmiges Gesicht und raunte leise vor sich hin, sodass eine gewisse Unzufriedenheit erkennbar schien. „Was ist los bei dir, Hogi?“, fragte das Fragezeichen. Hogi grummelte zurück: „Ach, schön dich zu sehen. Ist ja schon lange her, dass wir uns getroffen haben.“

„Wirkt es nur auf mich so, oder bist du schlecht gelaunt?“, fragte das Fragezeichen mit einer besorgt klingenden Stimme. Hogi zögerte kurz, antwortete dann aber doch: „Mein Chef geht mir so dermaßen auf den Senkel. Während ich gar nicht mehr weiß, wohin mit meiner Arbeit, sehe ich Kollegen gechillt in der Ecke quatschen. Der Chef sieht das auch noch, macht jedoch nichts dagegen. Und das ist jeden Tag das Gleiche. Ich habe bald keine Lust mehr. Das ist doch kein richtiger Chef. Ich denke, dass ich mir bald etwas anderes suche.“

„Wie hat dein Chef denn reagiert, als du mit ihm darüber gesprochen hast, dass dich diese Situation so sehr belastet?“, fragte das Fragezeichen. „Nein, mit dem habe ich nicht darüber gesprochen. Das bringt doch nichts. Er sieht es doch selbst und ändert nichts. Naja, ich muss jetzt weiter.“ Verdutzt blieb das Fragezeichen noch einen Augenblick stehen und fragte sich, weshalb Hogi seinem Unmut nicht kundtut.

Der guten Laune des Fragezeichens tat dieses Gespräch mit Hogi keinen Abbruch, und so setzte es heiter seinen Weg fort. „Huhuuuu, Huhuuu Fragezeichen“ rief es von der anderen Straßenseite. Fragend schaute sich das Fragezeichen um. Plötzlich stand Mari auch schon vor ihm und schenkte ihm eine herzhafte Umarmung. „Schön, dass ich dich treffe“, meinte Mari. „Mit dir kann ich mich immer so gut unterhalten, weil du so gut zuhören kannst.“ Komplimentierte sie das Fragezeichen.

Das Fragezeichen freute sich über dieses Feedback und fragte interessiert: „Gibt es denn etwas Konkretes, was du mir erzählen möchtest, oder freust du dich lediglich pauschal mich zu sehen?“ „Hach“, begann Mari zu berichten: „Ich bin gerade so unglücklich bei der Arbeit. Unser Chef kommandiert uns nur herum, und er nimmt gar nicht wahr, was wir da leisten. An eine Form von Dank ist erst recht nicht zu denken. Jetzt hat er auch noch Prozesse eingeführt, die alles noch umständlicher machen. Mittlerweile habe ich Sonntagabend schon Bauchschmerzen, wenn ich daran denke, dass ich am nächsten Tag wieder zur Arbeit muss.“

„Aber du arbeitest doch bereits seit über 20 Jahren dort und warst doch immer zufrieden, oder?“ hakte das Fragezeichen nach. „Ja, es gab natürlich immer mal etwas, was nicht so rund lief, aber im Großen und Ganzen mag ich meinen Job. Der neue Chef hat einfach keinen Durchblick. Der beschließt da irgendwelche Sachen, die uns helfen sollen, und stattdessen macht er uns damit das Leben noch schwerer. Zwei Kolleginnen und ich überlegen bereits, ob wir uns woanders bewerben.“

„Wie hat euer Chef denn reagiert, als ihr mit ihm darüber geredet habt?“ hinterfragte das Fragezeichen neugierig die Aussagen von Mari. „Das ergibt überhaupt keinen Sinn, mit ihm darüber zu reden. Er macht doch sowieso, was er will und wie er es will. Ich habe auch gar keine Lust mit ihm zu reden, so wie der sich verhält. Der ist so richtig von oben herab.“

Das Fragezeichen überlegte kurz und fragte noch einmal nach: „Bist du dir sicher, dass dein Chef sich darüber bewusst ist, was er bei euch auslöst?“ „Vermutlich nicht, so ignorant wie er ist. Es tat wirklich gut, das mal loszuwerden, und es ist nach wie vor ganz wunderbar, dass du ein solch guter Zuhörer bist, liebes Fragezeichen. Ich bin mir jetzt noch sicherer, dass ich Bewerbungen schreibe. Vielen Dank und bis bald…“ und so verabschiedete sich Mari genauso plötzlich, wie sie erschienen ist.

Das Fragezeichen wirkte sehr nachdenklich, als es kurz vor Erreichen seines Ziels noch Sonni traf. Sonni ist seit über 20 Jahren in der örtlichen Arztpraxis beschäftigt und ein durchweg positiver Mensch. Das Fragezeichen freut sich, sie zu sehen, und fragt: „Sonni? Wie geht es dir?“ Sonni lächelt etwas verkrampft zurück und sagt: „Joar, es muss.“ „Es muss?“ hakt das Fragezeichen nach. Sonni bleibt kurz stehen und erwidert: „Naja, unser Chef ist ja in den Ruhestand gegangen, und seitdem haben wir ständig wechselnde Ärzte als Vorgesetzte.“

Das Fragezeichen grinst freudig und sagt: „Aber ist das nicht prima? Somit habt ihr doch ständig Abwechslung und frischen Wind in der Praxis, oder?“ Sonni schüttelt mit dem Kopf, während sie antwortet: „Nein, es geht alles drunter und drüber. Niemand weiß genau, wer wofür verantwortlich ist. Es ist gar keine klare Struktur mehr da, und niemand fühlt sich für irgendetwas verantwortlich. Irgendwie denkt jeder nur noch an sich, und das führt natürlich zu Zickereien untereinander. Die Patienten haben das mittlerweile auch schon bemerkt, und einige wechselten sogar bereits die Praxis.“

„Was sagt denn der Inhaber der Praxis dazu?“ fragt das Fragezeichen. „Der spielt immer nur alles herunter und meint, dass wir uns einfach nur mehr anstrengen müssen. Und das, obwohl wir sowieso schon zu wenig Personal haben. Mehr anstrengen. Der hat leicht reden.“

Das Fragezeichen pfiff nicht mehr mit den Lippen, und es wirkte auch eher angespannt als fröhlich. Es setzte sich auf eine Bank und schaute sich um. An den Schaufenstern des anliegenden Einzelhandels sah es Stellenangebote „Dringend Mitarbeiter gesucht“, und am Zeitungskiosk erblickte es eine Überschrift „Der Fachkräftemangel in Deutschland“. Das Fragezeichen schaute sich fragend um und stellte sich selbst die Frage: „Was stimmt denn hier gerade nicht?“

„Ich muss weiter, meine Pause ist um. Ich erzähle dir mal irgendwann alles in Ruhe, aber jetzt muss ich los.“ und so verabschiedete sich Sonni und setzte ihren Weg fort.

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